Sources/Anleitungen/Die Prinzipien der Mechanik: Unterschied zwischen den Versionen

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woraus für <math>\varphi = 0</math> schließlich <math>v = 0</math>, also <math>h=a\sqrt{3}</math> folgt.
woraus für <math>\varphi = 0</math> schließlich <math>v = 0</math>, also <math>h=a\sqrt{3}</math> folgt.


[[Datei:1.14.png|mini|right|180px|Standsicherheitsmoment.]]
[[Datei:1.14.png|mini|right|160px|Standsicherheitsmoment.]]
'''Eine Bemerkung:''' Als Maß für den Grad der Stabilität dient das sog. Standsicherheitemoment; das ist diejenige Arbeit, die aufgebracht werden muß, um einen starren Körper aus dem stabilen Gleichgewicht in diejenige Lage zu bringen, aus der er von selbst nicht mehr in die stabile Gleichgewichtslage zurückkehrt. Für das gezeichnete Parallelepiped vom Gewicht '''G''' wäre das Standsicherheitsmoment
'''Eine Bemerkung:''' Als Maß für den Grad der Stabilität dient das sog. Standsicherheitemoment; das ist diejenige Arbeit, die aufgebracht werden muß, um einen starren Körper aus dem stabilen Gleichgewicht in diejenige Lage zu bringen, aus der er von selbst nicht mehr in die stabile Gleichgewichtslage zurückkehrt. Für das gezeichnete Parallelepiped vom Gewicht '''G''' wäre das Standsicherheitsmoment


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::<math>\underline{v}_j = \left(u_j;v_j;w_j\right)</math>,
::<math>\underline{v}_j = \left(u_j;v_j;w_j\right)</math>,


so gehört zu diesen Kraften das Potential
so gehört zu diesen Kräften das Potential


::<math>U_a = -\sum_j \left(X_j u_j + Y_j v_j + Z_j w_j \right)</math>
::<math>U_a = -\sum_j \left(X_j u_j + Y_j v_j + Z_j w_j \right)</math>
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::<math>U = U_a + U_e = -\sum_j \left(X_j u_j + Y_j v_j + Z_j w_j \right) + \sum_{ij} \frac{E_{ij} A_{ij}}{\ell_{ij}} (\Delta\ell_{ij})^2</math>,
::<math>U = U_a + U_e = -\sum_j \left(X_j u_j + Y_j v_j + Z_j w_j \right) + \sum_{ij} \frac{E_{ij} A_{ij}}{\ell_{ij}} (\Delta\ell_{ij})^2</math>,


ein Minimum ist, also <math>\delta U = 0</math> und <math>\delta^2 U > 0</math> erfüllt sind, wobei die zwischen <math>\delta \ell_{ij}</math> <math>u_j, v_j, w_j</math> bestehenden Zusammenhange beachtet werden müssen.
ein Minimum ist, also <math>\delta U = 0</math> und <math>\delta^2 U > 0</math> erfüllt sind, wobei die zwischen <math>\delta \ell_{ij}</math> <math>u_j, v_j, w_j</math> bestehenden Zusammenhänge beachtet werden müssen.


'''Beispiel'''
'''Beispiel'''
[[Datei:Fachwerk-2.png|mini|right|250px|Stabkraft im Fachwerks.]]
[[Datei:Fachwerk-2.png|mini|left|200px|Stäbe im Fachwerk.]]
[[Datei:Fachwerk-3.png|mini|right|250px|Stabkraft im Fachwerks.]]
In dem aus 5 symmetrisch angeordneten Stäben bestehenden Fachwerk sollen die Stabquerschnitte bei gleichem Elastizititsmodul und gegebenen <math>A_0</math> und <math>Q</math> so gewählt werden, daß in allen Stäben die gleichen Zugkräfte auftreten.
In dem aus 5 symmetrisch angeordneten Stäben bestehenden Fachwerk sollen die Stabquerschnitte bei gleichem Elastizititsmodul und gegebenen <math>A_0</math> und <math>Q</math> so gewählt werden, daß in allen Stäben die gleichen Zugkräfte auftreten.


[[Datei:Fachwerk-3.png|mini|right|200px|Stabkraft <math>S_j</math>im Fachwerk.]]
Wie groß ist die lotrechte Verschiebung <math>s</math> des Kraftangriffspunktes?
Wie groß ist die lotrechte Verschiebung <math>s</math> des Kraftangriffspunktes?


Das Gesamtpotential ist gemäß obiger Gleichung ist
Das Gesamtpotential gemäß obiger Gleichung ist


::<math>U = U_a + U_e = -Q \cdot s + \frac{E}{2} \sum_{j=0}^4 \frac{A_{j}}{\ell_{j}}\cdot  (\Delta\ell_{j})^2</math>.
::<math>U = U_a + U_e = -Q \cdot s + \frac{E}{2} \sum_{j=0}^4 \frac{A_{j}}{\ell_{j}}\cdot  (\Delta\ell_{j})^2</math>.
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::<math>\delta U = -Q \cdot \delta s + E \sum_{j=0}^4 \frac{A_{j}}{\ell_{j}}\cdot\Delta\ell_{j}  \delta (\Delta\ell_{j})</math>
::<math>\delta U = -Q \cdot \delta s + E \sum_{j=0}^4 \frac{A_{j}}{\ell_{j}}\cdot\Delta\ell_{j}  \delta (\Delta\ell_{j})</math>


Nun gilt, wenn wir von einer Anderung des Winkels <math>\alpha_j</math> absehen
Nun gilt, wenn wir von einer Änderung des Winkels <math>\alpha_j</math> absehen


::<math>\Delta\ell_{j} = s \cdot \cos(\alpha_j)</math>
::<math>\Delta\ell_{j} = s \cdot \cos(\alpha_j)</math>
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und somit
und somit


::<math>\delta (\Delta\ell_{j}) = \delta s \cdot \cos(\alpha_j)</math>
::<math>\delta (\Delta\ell_{j}) = \delta s \cdot \cos(\alpha_j)</math>.


Damit geht aus <math>\delta U = 0</math>
Damit geht aus <math>\delta U = 0</math>
Zeile 411: Zeile 411:
===Das Prinzip der virtuellen Verrückungen für linear elastische Systeme===
===Das Prinzip der virtuellen Verrückungen für linear elastische Systeme===


Bei der allgemeinen Anwendung des Prinzips der virtuellen Arbeiten auf Probleme der Elastizitatstheorie spielt die Formanderungsarbeit ''W'', wie in den Formeln von §1.2 dargelegt, eine zentrale Rolle. Hierfür beschreiben wir, wie in der "Einführung" dargelegt, den Deformationszustand eines (linear) elastischen Korpers durch die Dehnungen
Bei der allgemeinen Anwendung des Prinzips der virtuellen Arbeiten auf Probleme der Elastizitatstheorie spielt die Formanderungsarbeit ''W'', wie in den Formeln von §1.2 dargelegt, eine zentrale Rolle. Hierfür beschreiben wir, wie in der "Einführung" dargelegt, den Deformationszustand eines (linear) elastischen Körpers durch die Dehnungen


[[Datei:Dehnungen.png|mini|right|250px|Schnittlasten an einem kleinen Volumenelement.]]
[[Datei:Dehnungen.png|mini|right|250px|Schnittlasten an einem kleinen Volumenelement.]]
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Durch diese Gleichung wird die mit den virtuellen Verrückungen verbundene Arbeit der eingeprägten Kräfte ausgedrückt durch die Änderung der von den Spannungen längs der entsprechenden Elementenverzerrungen geleisteten inneren Arbeit, die wir bereits oben als die
Durch diese Gleichung wird die mit den virtuellen Verrückungen verbundene Arbeit der eingeprägten Kräfte ausgedrückt durch die Änderung der von den Spannungen längs der entsprechenden Elementenverzerrungen geleisteten inneren Arbeit, die wir bereits oben als die
Formanderungsarbeit ''W'' bezeichnet haben. Die gilt allgemein für elastische Systeme, und zwar für beliebige Elastizitatsgesetze (d.h. Zusammenhänge zwischen Spannungen und Verzerrungen), und sie läßt sich in der Form
Formanderungsarbeit ''W'' bezeichnet haben. Die gilt allgemein für elastische Systeme, und zwar für beliebige Elastizitätsgesetze (d.h. Zusammenhänge zwischen Spannungen und Verzerrungen), und sie läßt sich in der Form


::<math>\delta \left(W-A\right) = \delta_V \left(W-A\right)</math>
::<math>\delta \left(W-A\right) = \delta_V \left(W-A\right)</math>


als ein sog. "Variationsprinzip" schreiben. Der Index ''V'' bei dem Variationszeichen soll andeuten, daß bei diesem Prinzip die (stetig differenzierbaren) und mit den Randbedingungen verträglichen Verschiebungen (bzw. die in §10.3 näher erläuterten kompatiblen Verzerrungen) variiert werden; in diesem Sinne wollen wir vom Prinzip der virtuellen Verschiebungen sprechen. Das Prinzip beinhaltet auch, daß der in technisch wichtigen Fällen der Gleichgewichtslage eintretende Verzerrunqszustand derjenige ist, bei dem die Differenz <math>W- A</math> ein Extremum (Minimum) wird. Auf eine entsprechende praktische Anwendung des Prinzips kommen wir in Ziffer 7 (Ritzsches Verfahren) zurück.
als ein sog. "Variationsprinzip" schreiben. Der Index ''V'' bei dem Variationszeichen soll andeuten, daß bei diesem Prinzip die (stetig differenzierbaren) und mit den Randbedingungen verträglichen Verschiebungen (bzw. die in §10.3 näher erläuterten kompatiblen Verzerrungen) variiert werden; in diesem Sinne wollen wir vom Prinzip der virtuellen Verschiebungen sprechen. Das Prinzip beinhaltet auch, daß der in technisch wichtigen Fällen der Gleichgewichtslage eintretende Verzerrungszustand derjenige ist, bei dem die Differenz <math>W- A</math> ein Extremum (Minimum) wird. Auf eine entsprechende praktische Anwendung des Prinzips kommen wir in Ziffer 7 (Ritzsches Verfahren) zurück.


===Elastische Systeme aus Hookeschem Material===
===Elastische Systeme aus Hookeschem Material===
Zeile 607: Zeile 607:
Definiert man, wie oben angedeutet, die (volumen-)spezifische Formänderurtgsenergie (-arbeit) ''W'' durch  
Definiert man, wie oben angedeutet, die (volumen-)spezifische Formänderurtgsenergie (-arbeit) ''W'' durch  


:<math>W = \int_V W_S dV</math> bzw. <math>W_ = \frac{W_S}{dV}</math>
:<math>W = \int_V W_S dV</math> bzw. <math>W_ = \frac{W_S}\;{dV}</math>


so bringt ein Einsetzen der Hookschen Gesetzes
so bringt ein Einsetzen der Hookschen Gesetzes
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+\left(\varepsilon_{yy} + \frac{\nu}{1-2\nu}\varepsilon\right)\delta\varepsilon_{yy}
+\left(\varepsilon_{yy} + \frac{\nu}{1-2\nu}\varepsilon\right)\delta\varepsilon_{yy}
+\left(\varepsilon_{zz} + \frac{\nu}{1-2\nu}\varepsilon\right)\delta\varepsilon_{zz}\right.\\
+\left(\varepsilon_{zz} + \frac{\nu}{1-2\nu}\varepsilon\right)\delta\varepsilon_{zz}\right.\\
&&\left.+\frac{1}{2}\left(\gamma_{xy}\;\delta\gamma_{xy}+\gamma_{xz}\;\delta\gamma_{xz}+\gamma_{xz}\;\delta\gamma_{xz}\right)
&&\left.+\frac{1}{2}\left(\gamma_{xy}\;\delta\gamma_{xy}+\gamma_{xz}\;\delta\gamma_{xz}+\gamma_{yz}\;\delta\gamma_{yz}\right)
\right]
\right]
\end{array}</math>
\end{array}</math>
Zeile 634: Zeile 634:


::<math>\frac{\partial W_S}{\partial \varepsilon_{xx}} = \frac{E}{1+\nu}\left[\varepsilon_{xx}+\frac{\nu}{1-2\nu}\varepsilon\right] = \sigma_{xx},
::<math>\frac{\partial W_S}{\partial \varepsilon_{xx}} = \frac{E}{1+\nu}\left[\varepsilon_{xx}+\frac{\nu}{1-2\nu}\varepsilon\right] = \sigma_{xx},
\frac{\partial W_S}{\partial \gamma_{xy}} = \frac{E}{2 (1+\nu)}\gamma_{xy} = \tau_{xy}
\frac{\partial W_S}{\partial \gamma_{xy}} = \frac{E}{2 (1+\nu)}\gamma_{xy} = \sigma_{xy}
</math> usw.
</math> usw.


Zeile 644: Zeile 644:
   \left(1+\nu\right)\left(\sigma_{xx}^2 + \sigma_{yy}^2 + \sigma_{zz}^2\right)
   \left(1+\nu\right)\left(\sigma_{xx}^2 + \sigma_{yy}^2 + \sigma_{zz}^2\right)
- \nu \left(\sigma_{xx} + \sigma_{yy} + \sigma_{zz}\right)^2
- \nu \left(\sigma_{xx} + \sigma_{yy} + \sigma_{zz}\right)^2
+ 2 (1+\nu) \left(\tau_{xy}^2 + \tau_{yz}^2 + \tau_{xz}^2\right)
+ 2 (1+\nu) \left(\sigma_{xy}^2 + \sigma_{yz}^2 + \sigma_{xz}^2\right)
\right]\\
\right]\\
&=& \frac{1}{2} \left(\sigma_{xx}\varepsilon_{xx}+\sigma_{yy}\varepsilon_{yy}+\sigma_{zz}\varepsilon_{zz}
&=& \frac{1}{2} \left(\sigma_{xx}\varepsilon_{xx}+\sigma_{yy}\varepsilon_{yy}+\sigma_{zz}\varepsilon_{zz}
Zeile 652: Zeile 652:
die man anschaulich deuten kann als die Arbeit der Spannungen längs der von ihnen linear abhängigen Dehnungen bzw. Gleitungen.
die man anschaulich deuten kann als die Arbeit der Spannungen längs der von ihnen linear abhängigen Dehnungen bzw. Gleitungen.
[[Datei:Arbeit.png|mini|right|250px|Arbeit der Spannungen längs der von ihnen linear abhängigen Dehnungen]]
[[Datei:Arbeit.png|mini|right|250px|Arbeit der Spannungen längs der von ihnen linear abhängigen Dehnungen]]
Dieses charakteristische Bild wird uns überall dort begegnen, wo "langsam anwachsende Lasten" von ihnen linear abhangige Deformationen hervorrufen! Die oben zum Ausdruck gebrachte Superponierbarkeit der einzelnen Arbeitsbeiträge wird auch der Satz von <span style="text-transform: uppercase;">CLAPEYRON</span> (1799- 1864) genannt. Es sei noch einmal betont, daß der Satz von <span style="text-transform: uppercase;">CLAPEYRON</span> bzw. die obigen Gleichungen nach denen die spezifische Formänderungsarbeit eine homogen-quadratische Funktion der Spannungen bzw. der Spannungen und Deformationen
Dieses charakteristische Bild wird uns überall dort begegnen, wo "langsam anwachsende Lasten" von ihnen linear abhängige Deformationen hervorrufen! Die oben zum Ausdruck gebrachte Superponierbarkeit der einzelnen Arbeitsbeiträge wird auch der Satz von <span style="text-transform: uppercase;">CLAPEYRON</span> (1799- 1864) genannt. Es sei noch einmal betont, daß der Satz von <span style="text-transform: uppercase;">CLAPEYRON</span> bzw. die obigen Gleichungen nach denen die spezifische Formänderungsarbeit eine homogen-quadratische Funktion der Spannungen bzw. der Spannungen und Deformationen ist - nur für lineare (Hookesche) Elastizitätsgesetze gelten.
ist - nur für lineare (Hookesche) Elastizitätsgesetze gelten.


Schließlich sei noch bemerkt, daß nach diesen Gleichungen die partiellen Ableitungen der spezifischen Formänderungsarbeit nach den Spannungen die entsprechenden Deformationsgrößen liefern:
Schließlich sei noch bemerkt, daß nach diesen Gleichungen die partiellen Ableitungen der spezifischen Formänderungsarbeit nach den Spannungen die entsprechenden Deformationsgrößen liefern:


::<math>\frac{\partial W_S}{\partial \sigma_{xx}} = \frac{1}{E}\left[\sigma_{xx}+\nu\left(\sigma_{yy}+\sigma_{zz}\right)\right] = \varepsilon_{xx},
::<math>\frac{\partial W_S}{\partial \sigma_{xx}} = \frac{1}{E}\left[\sigma_{xx}+\nu\left(\sigma_{yy}+\sigma_{zz}\right)\right] = \varepsilon_{xx},
\frac{\partial W_S}{\partial \tau_{xy}} = \frac{\tau_{xy}}{G}=\gamma_{xy}
\frac{\partial W_S}{\partial \sigma_{xy}} = \frac{\sigma_{xy}}{G}=\gamma_{xy}
</math> usw.
</math> usw.


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=Das Prinzip von D'ALEMBERT=
=Das Prinzip von D'ALEMBERT=


- nicht inkludiert -
==Einleitende Bemerkungen. Das Problem des Schwingungsmittelpunktes und seine Lösung durch HUYGENS==
 
Es ist schon einleitend zu diesem Kapitel darauf hingewiesen worden, daß die Newtonsche Dynamik, entsprechend den Bedürfnissen der Himmelsmechanik, aus dem Studium der Bewegung "freier Massenpunkte" hervorgegangen ist und es aus diesem Grunde mit ihrer Hilfe nicht moglich ist, die Bewegung gebundener Körpersysteme in voller Allgemeinheit zu behandeln. Dabei ist es interessant, daß solche Fragen der sog. "Verbunddynamik" schon vor dem Erscheinen der "Principia" (1687) zur Diskussion standen.
[[Datei:Prinzipien-3.1.PNG|85px|right|mini|Pendel aus mehreren Einzelmassen.]]
Das berühmteste Problem dieser Art ist von <span style="text-transform: uppercase;">Mersenne</span> (1588-1648) im Jahre 1646 gestellt worden: Die Schwingungsdauer eines aus mehreren Einzelmassen bestehenden Pendels zu ermitteln.
 
[[Datei:Prinzipien-3.2.PNG|150px|left|mini|Mathematisches Pendel.]]
Da man den Zusammenhang zwischen Pendelänge <math>\ell</math> und Schwingungsdauer des sog. mathematischen Pendels für kleine Ausschläge schon seit <span style="text-transform: uppercase;">Galilei</span> (1564-1642) kannte, lief die Lösung auf die Ermittlung der sog. reduzierten Pendellänge  oder des Schwingungsmittelpunktes hinaus. <span style="text-transform: uppercase;">Huygens</span> (1629 bis 1695), selbst ein Schüler von <span style="text-transform: uppercase;">Mersenne</span>, löste das Problem durch Überlegungen, die wir heute zusammenfassend mit dem Namen Energiesatz im Schwerefeld charakterisieren. Dieser liefert, wenn wir das Pendel in der durch den Winkel <math>\varphi</math> bestimmten Lage ohne Anfangsgeschwindigkeit loslassen, in der Tiefstlage für die Geschwindigkeit <math>v</math> bzw. Winkelgeschwindigkeit <math>\omega</math>.
 
::<math>m \; g \; \ell (1 - \cos(\varphi)) = \frac{1}{2} m \; v^2 = \frac{1}{2} m \; \ell^2 \omega^2</math>
 
bzw. für das zusammengesetzte Pendel
 
::<math>\sum _{k=1}^n m_k \; g \; r_k (1 - \cos(\varphi)) = \frac{1}{2} \sum_{K=1}^n m_k \; r_k^2 \omega^2</math>.
 
Durch Division der beiden Gleichungen ergibt sich für die reduzierte Pendellänge die schon bekannte Beziehung


==Einleitende Bemerkungen. Das Problem des Schwingungsmittelpunktes und seine Lösung durch HUYGENS==
::<math>\ell = \frac{\sum _{k=1}^n m_k \; r_k^2}{\sum _{k=1}^n m_k \; r_k}</math>.


- nicht inkludiert -
Im Jahre 1686 gab auch <span style="text-transform: uppercase;">Jakob Bernoulli</span> (1654-1704) eine Lösung dieses Problems. Seine Überlegungen wollen wir anschließend kennenlernen, da sie schon den Kern des D'Alembertschen Prinzips enthalten.


==JAKOB BERNOULLIS Problem==
==JAKOB BERNOULLIS Problem==
... ist das eines aus zwei Einzelmassen <math>m_1</math> und <math>m_2</math> und aus einer gewichtslosen Stange bestehenden Pendels. Die Abstände dieser Massen vom Aufhängepunkt seien mit <math>r_1</math> und <math>r_2</math> bezeichnet.
[[Datei:Prinzipien-3.3.PNG|85px|left|mini|Vorderradgabel mit Scheibenbremse.]]
Die Bewegung beginnt aus der horizontalen Lage ohne Anfangsgeschwindigkeit; <math>b_1</math> und <math>b_2</math> seien die Beschleunigungen von <math>m_1</math> und <math>m_2</math>. Nun überlegt <span style="text-transform: uppercase;">Bernoulli</span> folgendermaßen: Es leuchtet sofort ein, daß <math>m_2</math> eine größere Geschwindigkeit bzw, Beschleunigung erfährt als <math>m_1</math>. Unter der Annahme der Gleichheit der Massen ist dann zwar beiden dieselbe Kraft <math>K_1 = K_2 = m_1 g = m_2 g</math> "eingeprägt", aber wegen der starren Stabverbindung kann die an <math>m_1</math> angreifende (eingeprägte) Kraft <math>K_1 = m_1 g</math> nicht zur vollen Beschleunigungswirkung kommen, vielmehr geht der Anteil <math>K_1 - m_1 b_1 = m_1 (g-b_1)</math> "verloren", während <math>m_2</math> an beschleunigender Kraft
<math>m_2 (g - b_2)</math> "gewinnt". Man nennt


- nicht inkludiert -
::<math>B_1 = K_1 - m_1 b_1</math> und <math>B_2 = K_2 - m_2 b_2</math>
 
"verlorene Kräfte". Nun kommt <span style="text-transform: uppercase;">Bernoulli</span> zu folgender genialer Schlussfolgerung: Da die verlorenen Krafte <math>m_1 (g-b_1)</math> bzw. <math>m_2 (g-b_2)</math> ihre Wechselwirkung durch den Verbindungsstab als einarmigen Hebel
ohne die Bewegung zu beeinflussen ausüben, müssen sie das Hebelgesetz erfüllen:
 
::<math>m_1 (g-b_1) r_1 + m_2 (g-b_2) r_2 = 0</math>
 
Bedeutet <math>\ell</math> die gesuchte reduzierte Pendellänge, so ist offenbar
 
::<math>b_1 = g \frac{r_1}{\ell} </math> und <math>b_2 = g \frac{r_2}{\ell} </math>
 
denn nur der Schwingungsmittelpunkt erfährt in der waagerechten Ausgangslage die volle Erdbeschleunigung. Mit obiger Gleichung erhält man aus der Gleichung für das Hebelgesetz schießlich
 
::<math>\ell = \frac{m_1 \; r_1^2 + m_2 \; r_2^2}{m_1 \; r_1 + m_2 \; r_2}</math>.
 
woraus durch Verallgemeinerung wieder die oben genannte Gleichung hervorgeht. In diesen eben geschilderten- "statischen"- Gedanken vom Gleichgewicht der verlorenen Kräfte des <span style="text-transform: uppercase;">Jakob Bernoulli</span> liegt der Kern des Prinzips von <span style="text-transform: uppercase;">D'Alembert</span>, dem wir uns jetzt zuwenden wollen.


==Das Prinzip vonD'ALEMBERT==
==Das Prinzip vonD'ALEMBERT==
... führt die Probleme der Dynamik (Kinetik) formal auf solche der Statik zurück; es benötigt also einen  prinzipienmäßigen Aufbau der Statik. Dieser ist schon vorangehend geleistet worden, so daß einer Formulierung dieses Prinzips nichts im Wege steht.
Das Prinzip von <span style="text-transform: uppercase;">D'Alembert</span> ist eine  Verallgemeinerung des Jakob Bernoullischen Gedankens, dessen Kern es ist, daß bei
der beschleunigten Bewegung eines Körpersystems infolge der Verbindungen der Massen untereinander die den Massen eingeprägten Kräfte nicht zur vollen Beschleunigungswirkung kommen.
[[Datei:Prinzipien-3.4.PNG|200px|right|mini|Vorderradgabel mit Scheibenbremse.]]
Ist <math>b</math> die wirkliche Beschleunigung des Massenelementes <math>dm</math>, so zerlege man die eingeprägte Kraft <math>d K^e</math> nach dem Parallelogrammgesetz in die Komponenten
<math>d\vec{K} = dm \; \vec{b}</math> und <math>d\vec{B} = d\vec{K}^e - dm \;\vec{b}</math>. Nun sagt das Prinzip
von <span style="text-transform: uppercase;">D'Alembert</span> aus:
''Bei der Bewegung halten sich am mechanischen System die verlorenen Kräfte''
::<math>d\vec{B} = d\vec{K}^e - dm \; \vec{b}</math>
''das Gleichgewicht.'' Die verlorenen Käfte kommen also zu rein statischer Verspannung. Benutzt man für die verlorenen Kräfte, die uns in Wirklichkeit nicht interessieren, die rechte Seite von obiger Gleichung, so können wir auch kurz sagen:
Bei der Bewegung halten sich die eingepägten Kräfte und die negativen Massenbeschleunigungen am System das Gleichgewicht.
Dementsprechend hat man folgendes "Rezept" zur Lösung von dynamischen Problemen: Man füge zu den eingeprägten Kräften
<math>d\vec{K}^e</math>
die negativen Massenbeschleunigungen <math>dm \; \vec{b}</math> (als Scheinkräfte) hinzu und behandle dann das System nach den statischen Gesetzen. Mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Arbeiten erhalten wir das D'Alembertsche Prinzip in der Lagrangeschen Fassung:


- nicht inkludiert -
::<math>\int_V d\vec{B} \cdot \delta \vec{r} \; dV = 0</math>
 
bzw.
 
::<math>\int_V (d\vec{K}^e - dm \; \vec{b}) \cdot \delta \vec{r} \; dV = 0</math>.
 
Hierbei hat die virtuelle Verschiebung <math>\delta \vec{r}</math>mit dem Verlauf der wirklichen Bewegung nichts zu tun: Sie kann jede mit den Bindungen des Systems vereinbare Lageänderung sein!
Zu den virtuellen Verschiebungen <math>\delta \vec{r}</math> noch eine grundsätzliche Bemerkung: Zwischen den virtuellen Verschiebungen der einzelnen Systempunkte können gewisse Beziehungen bestehen. Oft sind sie Gleichungen zwischen den Koordinaten des Systems; man nennt ein solches System ein holonomes ("ganz gesetzliches") System. Im Gegensatz hierzu wird ein
System nicht- holonom genannt, wenn Bedingungsgleichungen nur in differentieller Form bestehen.
 
[[Datei:Prinzipien-3.5.PNG|200px|right|mini|Führung eines Messers über eine Ebene.]]
Als Beispiel fur ein nicht-holonomes System kann ein mit seiner Schneide über eine Ebene (Tisch) geführtes Messer angeführt werden, wenn "Kratzen" verboten ist, d.h., wenn die Schneide
des Messers immer die Richtung der Tangente der Bahnkurve hat.
 
Es muß dann die differentielle Beziehung <math>\delta y = \delta x \;\tan(\alpha)</math> zwischen den Koordinaten ''x, y'' des Berührungspunktes des Messers mit
der Ebene und dem Winkel <math>\alpha</math> der Schneidenrichtung mit der ''x''-Achse
bestehen. Diese Beziehung kann aus keiner endlichen Gleichung zwischen den Koordinaten
<math>x, y, \alpha</math> des Systems abgeleitet werden, da <math>x, y</math>
und <math>\alpha</math> offenbar beliebige Werte annehmen können, d. h. unabhängig voneinander sind.
 
Auch ein auf einer Ebene abrollendes und schief gestelltes Rad ist ein nicht-holonomes System. Es sei bemerkt, daß in der Kontinuumsmechanik die Untersuchung nicht-holonomer Systeme entfällt.
 
In obiger Gleichung des d'Alembertschen Prinzips erscheinen die Reaktionskräfte nicht, wohl müssen aber bei einem elastischen System die Arbeit verrichtenden inneren elastischen
Kräfte und gegebenenfalls innere Gleitreibungen berücksichtigt werden!
Für starre Systeme, für die das Prinzip vorwiegend zur Anwendung gelangt, fallen diese Kräfte freilich fort.
 
Mit
 
::<math>d\vec{K}^e = \left(dX; dY; dZ \right),
        \vec{b} = \left(\ddot{x}; \ddot{y}; \ddot{z} \right),
        \delta \vec{r} = \left(\delta x; \delta y; \delta z \right)
</math>
 
erscheint das d'Alembertsche Primzip in der Form
 
::<math>\int \left[(dX - dm\; \ddot{x}) \; \delta x
                    +(dY - dm\; \ddot{y}) \; \delta y
                    +(dZ - dm\; \ddot{z}) \; \delta z \right] = 0
</math>
 
woraus für ein "freies System" wegen der Willkürlichkeit von <math>\delta x, \delta y, \delta z</math> die Newtonschen Bewegungsgleichungen
 
::<math>
dm\; \ddot{x} = dX,
dm\; \ddot{y} = dY,
dm\; \ddot{z} = dZ
</math>
 
folgen. In diesem Falle leistet das D'Alembertsche Prinzip nichts Neues:
der Fortschritt dieses Prinzips liegt in seiner Anwendung auf gebundene
Svsteme.
 
Wir wollen nun noch Schwerpunkt- und Momentensatz für freie, starre Körper aus dem D'Alembertschen Prinzip herleiten. Mit Rücksicht darauf, daß hier eine Unterscheidung zwischen eingeprägten Kräften <math>d\vec{K}^e</math> und äußeren Kräften <math>d\vec{K}^a</math>
entfällt, liefert das D'Alembertsche Prinzip im Sinne der Gleichgewichtsbedingungen am freien
starren Körper
 
::<math>\int d\vec{B} = 
      \int (d\vec{K}^a - dm \;\vec{b}) = \vec{0}
</math>, <math>
      \int_V \vec{r} \times d\vec{B} =
      \int_V (\vec{r} \times (d\vec{K}^a - dm \;\vec{b}))  = \vec{0}
</math>,
 
woraus mit <math>\vec{b} = \ddot{r} = \dot{v}</math> und wegen der Unveränderlichkeit der Masse
 
::<math>\int d\vec{K}^a = \vec{K}^a  = \int dm \; \; \ddot{\vec{r}}^a = \frac{d^2}{dt^2}(m \; \vec{r}_S) = m \ddot{\vec{r}}_S = m \vec{b}_S</math>
 
bzw.
::<math>\int \vec{r}\times d\vec{K}^a = \vec{M}^a  = \int \vec{r}\times dm \; \ddot{\vec{r}}^a = \frac{d}{dt} \int (dm \vec{r}\times\vec{v}) = \frac{d D}{dt}</math>
 
also Schwerpunkt- und Momentensatz (Drallsatz), letzterer ohne Heranziehung des Boltzmannschen Axioms, hervorgehen.
 
Selbstverständlich kann das D'Alembertsche Prinzip auch zur Ermittlung von inneren Kräften (z.B. Seilkräften) dienen, indem man diese durch Führung eines geeigneten Schnittes freilegt, d.h. sie zu äußeren Kräften macht. In solchen Fällen verwendet man anstatt oder neben der
urspünglichen Fassung des D'Alembertschen Prinzips auch die Gleichgewichtsbedingungen der (verlorenen) Kräfte und Momente, wobei bei den letzteren die Momente der (eingeprägten) Kräfte im Sinne der obigen Gleichungen durch die Produkte <math>\Theta \dot{\omega}</math>
der sich drehenden Massen zu ergänzen sind.
 
Der Sinn des D'Alembertschen Prinzips ist, insbesondere nach den einleitend geschilderten Gedankengangen von JAKOB BERNOULLI, klar; trotzdem trifft man in der Literatur noch immer auf die Behauptung, daß das D'Alembertsche Prinzip weiter nichts sei als eine
"Umstellung" des Newtonschen Gesetzes <math>\vec{K} = m \vec{b}</math> in <math>\vec{K} - m \vec{b} = 0!</math>
 
[[Datei:Prinzipien-3.6.PNG|300px|left|mini|Zur falschen Interpretation des d'Almebertschen Prinzips: System mit Seilkräften freigeschnitten.]]
Oft wird auch das Prinzip zu weit gefaßt, wenn behauptet wird, daß jede statische Gleichung auch für die Bewegung durch Hinzunahme der negativen Massenbeschleunigungen richtig wird. Daß diese Ansicht falsch ist, zeigt die Betrachtung des in dargestellten Systems:
Die statische Gleichgewichtsbedingung - ohne Berücksichtigung des Seilgewichtes -
 
::<math>S_2 - S_1 = m_2\; g \; \sin\beta - m_1\; g \; \sin\alpha </math>
 
ist offenbar auch für eine massenbehaftete Rolle richtig, aber sie nach
Hinzufügen der negativen Massenbeschleunigungen, also in der Form
 
::<math>(m_2\; g \; \sin\beta - m_2 \; b) - (m_1\; g \; \sin\alpha + m_1\; b) = 0, b = \ddot{s}</math>
 
zu verwenden, wäre falsch! Wir kommen auf dieses Beispiel in der
nächsten Ziffer zurück.


==Beispiele==  
==Beispiele==  


- nicht inkludiert -
- nicht inkludiert -

Aktuelle Version vom 27. Oktober 2025, 11:58 Uhr

Dies ist ein Auszug aus dem Buch

  • Szabó, István: Höhere Technische Mechanik, 8. Aufl., Berlin/Heidelberg: Springer 2001

Die Prinzipien der Mechanik

In diesem Kapitel wird ein einheitlicher Aufbau der gesamten Mechanik gegeben. Dazu werden wir von zwei Axiomen ausgehen, die wir Prinzipien nennen werden. Es wurde schon in der "Einführung in die Technische Mechanik"

🖌 "Einführung":
... steht hier für Szabó, István: Einführung in die Technische Mechanik, 8. Aufl., Berlin/Heidelberg/New York: Springer 2000, vgl. Szabó 2000

darauf hingewiesen, dass an eine solche Systematik zweckmäßigerweise erst nach Durchschreiten des historischen Weges gedacht werden sollte, d.h., nachdem die Statik und Dynamik des starren Körpers und die einfachsten Gesetze der festen elastischen Körper aus einigen durch die Erfahrung eingegebenen Axiomen aufgebaut worden sind. Diese Inspiration durch die Erfahrung zu betonen, ist notwendig, denn die oben erwähnten zwei Prinzipien, nämlich das der virtuellen Arbeiten und das von d'Alembert, werden uns auf den ersten Blick weder anschaulich notwendig erscheinen, wie etwa die Axiome der Euklidischen Geometrie, noch werden sie durch die Erfahrung eingegeben, wie z. B. die Gleichgewichtsbedingungen für die Kräfte am starren Körper.

Blicken wir noch einmal auf den Aufbau der Mechanik in der "Einführung" zurück: Wir begannen mit der Statik des starren Körpers, und nach Einführung der Axiome von der Linienflüchtigkeit des Kraftvektors und vom Kräfteparallelogramm sprachen wir die Gleichgewichtsbedingung am starren Körper (ebenfalls als Axiom) in der Form

j=1nFja=0 und j=1nrj×Fja=0

aus. Hierbei bedeuten Fja die äußeren Kräfte, d.h. die eingeprägten und die Reaktionskräfte. Aus den daraus hervorgehenden 6 Komponentengleichungen konnten im allgemeinen ebenso viele unbekannte Reaktionslastkomponenten ermittelt werden (statisch bestimmtes Problem). Bei mehr Unbekannten mußten die Fiktion des starren Körpers aufgegeben und das elastische Verhalten des Materials berücksichtigt werden (statisch unbestimmte Probleme). Vollig unabhängig von der Statik, wenn auch unter Heranziehung des statischen Kraftbegriffes, wurden anknüpfend an das Newtonsche Gesetz ("Einführung" §2Q Ziff. 1 und 2) die beiden grundlegenden Gesetze der Dynamik (Schwerpunkt und Momentensatz) hergeleitet ("Einführung" §20 Ziff. 3 und 4). Damit begann man jedoch schon die Grenzen der Newtonschen Mechanik zu überschreiten, denn diese wurde eigentlich aus dem Studium der Planetenbewegung heraus, d. h. für die freie Bewegung eines "Massenpunktes", aufgebaut. Bei den irdischen Bewegungen - und das ist die eigentliche Aufgabe der Technischen Mechanik - hat man es aber im allgemeinen weder mit Massenpunkten noch mit freien Bewegungen, sondern mit gebundenen Bewegungen eines räumlich ausgedehnten Körpers bzw. Körpersystems zu tun, und hier erweist sich die Newtonsche "Mechanik des Massenpunktes" als zu eng. Die Erweiterung des Newtonschen Grundgesetzes auf das Massenelement bedeutet den ersten entscheidenden Schritt zu einem einheitlichen Aufbau der gesamten Mechanik, mit dem die Namen Euler (1707-1783), d'Alembert (1717-1783) und Lagrange (1736-1813) unlöslich verbunden sind. Die von den letzteren ausgesprochenen Gesetze (Prinzipien) fußen - im Gegensatz zum Newtonschen Gesetz - auf der Statik, und sie treffen in deren Sinne die gesamte Mechanik umfassende Aussagen als Gleichgewichtsprinzipien. Dementsprechend beginnen wir mit dem Aufbau einer starre und deformierbare Körper umfassenden Statik.

Das Prinzip der virtuellen Arbeiten als allgemeines Grundgesetz der Statik

Einleitende Bemerkungen und der Begriff der virtuellen Verrückung

Die Kopplung des Prinzips mit dem Arbeitsbegriff bringt schon zum Ausdruck, daß man auch in der Statik, wie in der Physik durch das Prinzip der Erhaltung der Energie [R. Meyer (1814-1878)], zu einem obersten einheitlichen Gesetz kommt, wenn man vom Energiebegriff, insbesondere von der bei einer Verschiebung geleisteten mechanischen Arbeit, ausgeht. Solche Bestrebungen und Versuche sind alt:

Schon bei Aristoteles (384-322 v. Chr.) - bei der Ableitung des Hebelgesetzes - finden sich solche Betrachtungen. Die erste, wenigstens in qualitativer Hinsicht richtige Aussage eines Energieprinzips stammt aus dem Mittelalter von Jordanus Nemorarius (um 1220).

Das Prinzip der virtuellen Arbeiten umfaßt das Prinzip der virtuellen Verrückungen und das Prinzip der virtuellen Kräfte. Mit dem erstgenannten ist der Begriff der virtuellen Verrückung aufs engste verknüpft. Unter einer virtuellen Verrückung oder Verschiebung δr verstehen wir eine

  1. gedachte (also in Wirklichkeit nicht unbedingt eintretende),
  2. differentiell kleine und
  3. mit der geometrischen Konfiguration (Gestalt, Bindungen usw.)

vereinbare Verschiebung. Mit dem Parameter p schreiben wir

δr=rpδp.

Das aus der Variationsrechnung entliehene Zeichen δ soll zum Ausdruck bringen, daß es sich um eine gedachte Verschiebung handelt, im Gegensatz zu einer wirklichen, die mit d bezeichnet und auch aktuelle Verschiebung genannt wird.

Zweischlag

Bei dem in der Abbildung skizzierten Zweistabsystem ist eine einem (möglichen) Zustand gegenüber virtuell verschobene Lage, die man im Sinne der Variationsrechnung auch eine variierte nennt, gestrichelt angedeutet. Die virtuellen Verschiebungen sind also geometrisch und physikalisch mögliche Verschiebungen, die man sich zeitlos vorzustellen hat und die in Wirklichkeit nicht einzutreten brauchen. Selbstverstandlich gehören die wirklichen Verschiebungsdifferentiale bei von der Zeit unabhängigen Bindungen (skleronome Systeme) in die Klasse aller möglichen Verschiebungen!

🖌 skleronom - rheonom:
So ist z.B. ein gegen die Erde abgestütztes System skleronom, falls man die Erde als ruhend ansieht; sonst nicht skleronom (rheonom). Die Worte skleronom und rhemunn kommen aus dem Griechischen:
  • skleronom = starres Gesetz;
  • rheonom = fließendes Gesetz.

Bei einem System starrer Körper lassen die virtuellen Verschiebungen die Gestalt der einzelnen Körper unverändert, während ein virtueller Verrückungszustand eines deformierbaren Körpers auch Körperverformungen zur Folge haben kann. Die differentielle Kleinheit der virtuellen Verrückungen setzen wir voraus, damit wir bei der Formulierung der virtuellen Arbeit die Kräfte als unabhängig von den variierten Verschiebungen ansehen konnen. Im Gegensatz hierzu werden beim Prinzip der virtuellen Kräfte bei festgehaltenem Verschiebungszustand die Kräfte variiert; näheres hierzu siehe §2.4.

Das Prinzip der virtuellen Verrückungen für ein Körpersystem

Wir betrachten ein Volumenelement dV eines Systems, an dem die resultierende eingeprägte Kraft dFe angreifen möge.

Volumenelement eines Körpers

Bedeutet δr eine dem Kraftangriffspunkt von dFe zugeordnete virtuelle Verschiebung, so ist die gesamte virtuelle Arbeit der eingepragten Kräfte am System

δAe=VdFeδrdV

Greifen am System nur Einzelkräfte Fje, (j = 1, 2, 3, ..., n) an, so hat man

δAe=j=1nFjeδrj

Nun fordert das Prinzip der virtuellen Verrückungen als Axiom:

Ein mechanisches System befinde sich im Gleichgewicht, wenn die Gesamtarbeit der eingeprägten Krälte für jede mögliche virtuelle Verschiebung verschwindet:

δAe=0.

Gemäß den obigen Gleichungen gilt also

δAe=VdFeδrdV=0

bzw.

δAe=j=1nFjeδrj=0

Im Gegensatz zu den bekannten Gleichgewichtsbedingungen am starren Korper ("Einführung" §7.3) erscheint das Prinzip der virtuellen Verrückungen keinesfalls evident, wenn es auch - nach einigem Überlegen, einer anschaulichen Deutung fähig ist: Die angreifenden Kräfte zeigen keine Tendenz, das System durch Arbeitsleistung in Bewegung zu setzen.

Damit ist freilich nichts bewiesen, und eines solchen Beweises ist das Prinzip der virtuellen Verrücknngen als Axiom weder fähig noch bedürftig: Es muß seine nachträgliche Rechtfertigung in der Übereinstimmung mit der Erfahrung finden, und das ist der Fall. Das Prinzip der virtuellen Verrückungen wird als ein für starre und deformierbare Systeme gültiges Axiom postuliert; im ersten Falle (starre Systeme) haben wir sofort die Möglichkeit, das Prinzip zu "erproben": Offenbar muß es auf die alten Gleichgewichtsbedingungen zurückführen. Für elastisch-deformierbare Systeme wird das Prinzip - wie wir später sehen werden - neben der Verifikation bekannter Ergebnisse neue Möglichkeiten für die Elastizitätstheorie eröffnen.

Bevor wir das Prinzip der virtuellen Verrückungen auf einen starren Körper bzw. auf ein System aus starren Körpern anwenden, noch eine grundsätzliche Bemerkung: In den obigen Gleichungen erscheinen nur die eingeprägten, nicht aber die Reaktionskräfte, obwohl gerade die Bestimmung der letzteren im Hinblick auf die zu erwartende Beanspruchung des Systems eine wesentliche Aufgabe der Statik ist! Hierzu ist folgendes zu sagen: Zunächst ist es selbstverständlich, daß die Reaktionskräfte in der mathematischen Fassung des Prinzips nicht erscheinen können, da die Bindungen, in denen diese Kräfte wirken, unverschieblich sind, können von den Reaktionskräften auch keine Arbeiten geleistet werden. Die Möglichkeit, mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Verrückungen die für das Gleichgewicht erforderlichen Reaktionakräfte zu ermitteln, liegt in dem sogenannten Befreiungsprinzip von Lagrange:

  • Man denke die starren (geometrischen) Bindungen durch nachgiebige (physikalische) ersetzt, wodurch aus den Reaktionskräften eingeprägte Kräfte werden, die nun mehr nach dem Prinzip der virtuellen Verrückungen ermittelt werden können.

Diese Umwandlung ist der für uns wesentliche Inhalt des Befreiungsprinzips.

Nun zeigen wir, wie das Prinzip der virtuellen Verriickungen für den starren Körper bzw. für starre Systeme auf die wohlbekannten Gleichgewichtsbedingungen führt.

Kinematik der Starkörperbewegung

Zunächst sei an die Eulersche Formel ("Einführung" §19.7) erinnert, nach der eine differentiell kleine Verschiebung δrj des Punktes Pj eines starren Körpers sich zusammensetzen läßt aus der Translation δrK eines körperfesten Punktes K und aus einer Drehung um eine durch K gehende Achse mit dem Einheitsvektor w:

δrj=δrK+δφw×(rjrK).

Hierbei ist δφ die Winkeldrehung um die durch w festgelegte Achse. Damit liefert die Gleichung für die virtuelle Arbeit

δAe=(δrKδφw×rK)j=1nFje+j=1n(δφw×rj)Fje

oder, wenn man im letzten Glied die für Kreuzprodukte gültige Regel

(a×b)c=a(b×c)

berücksichtigt,

δAe=(δrKδφw×rK)Re+δφwj=1nrj×Fje=(δrKδφw×rK)Re+δφwMe

wobei Re=j=1nFje die resultierende Kraft und Me=j=1nrj×Fje das auf den raumfesten Nullpunkt bezogene Moment aller eingeprägten Kräfte bedeuten. Für den freien starren Körper sind δrK und δφw beliebige differentielle Änderungen, so daß aus obigen Gleichungen

Re=0,Me=0

gefolgert werden können, während wir als Gleichgewichtsbedingungen in der Statik

Ra=0,Ma=0

erhalten haben. Bei diesen letzten Gleichungen ist zu bedenken, daß die Einteilung der Kräfte in eingeprägte und Reaktianskräfte bzw. in innere und äußere Kräfte sich keinesfalls zu decken braucht: Es kann sowohl äußere wie innere eingeprägte Kräfte als auch äußere und innere Reaktionskräfte geben; freilich brauchen sie nicht alle in einem System zugleich aufzutreten; so gibt es z.B. beim freien, starren Körper keine äußeren Reaktionskräfte und keine inneren eingeprägten Kräfte, so daß die Gleichungen identisch werden; auch für den gebundenen starren Körper ist dieses sofort einzusehen, wenn man bedenkt, daß nach dem Befreiungsprinzip die Reaktionskräfte zu eingeprägten werden. Damit ist gezeigt, daß das Prinzip der virtuellen Verrückungen die früheren Gleichgewichtsbedingungen als Spezialfall enthält, aber es leistet noch weit mehr, wenn wir seine Gültigkeit, wie schon erwähnt, auch für deformierbare Körper postulieren, bei denen im Zusammenhang mit einer virtuellen Verrückung auch gegenseitige (relative) Verschiebungen der Körperpunkte denkbar sind. In diesem Falle besagt das Prinzip, daß die Summe der virtuellen Arbeiten der äußeren eingeprägten Kräfte δAae und die der inneren δAie verschwindet:

δAe=δAae+δAie=0.

Spezialisieren wir dieses Prinzip auf elastisch deformierbare Körper und bezeichnen die Arbeit, die der elastische Körper bei seiner Entspannung zu leisten vermag, mit W bzw. δW, so ist offenbar δAie=δW, so daß mit δAae=δA die für elastische (dämpfungsfreie) Medien grundlegende Beziehung

δA=δW

hervorgeht.

Das ist aber der sog. "Energiesatz" : Die Arbeit der äußeren (eingeprägten) Kräfte bei einer virtuellen Verschiebung ist gleich dem Zuwachs der sog. Formänderungsarbeit W. Es muß hier besonders betont werden, daß δA diejenige sog. "Endwert"-Arbeit der äußeren Kräfte ist, die diese leisten würden, wenn sie längs der virtuellen Verschiebungen mit ihren konstanten, dem Gleichgewichtszustand entsprechenden Werten wirken würden.

Fassen wir dagegen speziell die in der letzten Gleichung stehenden virtuellen Arbeiten als während einer - "unendlich langsamen" - Verformung auftretende (aktuelle) Arbeitsdifferentiale auf, so können wir nach Integration über diese, wenn man vom spannungslosen Zustand ausgeht,

dAa=Aa=dW=W

schreiben. Bei der zu Aa führenden Integration ist natürlich die Abhängigkeit der Kräfte von den Deformationen zu berücksichtigen. Aa bezeichnet man als äußere Formänderungsarbeit; das ist also die von den äußeren Kräften wirklich geleistete Arbeit, die mit der (Gesamt-) Endwertarbeit A, im Falle der Proportionalität zwischen äußeren Kräften und Verschiebungen, in der Beziehung

2Aa=A

steht.

Wir werden später sehen, daß das Prinzip der virtuellen Verrückungen, auf - im Sinne des Hooke'schen Gesetzes - elastische Körper angewandt, nicht nur von früher her bekannte Resultate liefert, sondern zu neuen Methoden und Erkenntnissen führt. Vorerst soll das Prinzip bei Gleichgewichtsproblemen starrer Körper "erprobt" werden. Zur praktischen Durchführung solcher Aufgaben ist grundsätzlich folgendes zu sagen:

Man wähle ein von den möglichen Verschiebungen unabhängiges Koordinatensystem, bestimme in diesem System die zu den Kraftangriffspunkten führenden Radiusvektoren rj und bilde ihre virtuellen Verschiebungen δrj - nach den Regeln der Analysis - als Differentiale, wodurch die Bildung der virtuellen Arbeit der eingeprägten bzw. der nach dem Befreiungsprinzip zu eingeprägten gewordenen Reaktionskräfte möglich ist. Dann sucht man - entsprechend der geometriachen Konfiguration des Systems Beziehungen zwischen den virtuellen Verschiebungen, so daß in dem Ausdruck für die virtuellen Arbeiten genauso viele voneinander unabhängige Verschiebungen δrj übrigbleiben, wie das Syatem Freiheitsgrade hat; man kann nun - wegen der Willkürlichkeit dieser Verschiebungen δrj fordern, daß ihre Koeffizienten für sich verschwinden müssen, und das liefert die gesuchten Gleichgewichtsbedingungen des Systems.


Beispiele und Anwendungen

Die doppelschiefe Ebene

Zwei auf je einer schiefen Ebene verschiebbare Körper G1 und G2 sind mit einem uber eine Rolle geführten Faden von der Länge =1+2+R verbunden.

Körper auf doppelschiefer Ebene

Man ermittle die Bedingung für das Gleichgewicht. Sehen wir von der Reibung ab, so hat man in dem gezeichneten Koordinatensystem

F_1e=(0G10),F_2e=(0G20),

und, da die über den Rollenradius liegende Seillänge als konstant anzusehen ist,

r_1=1(cos(α)sin(α)0),r_2=2(+cos(β)sin(β)0)

und damit

δr_1=δ1(cos(α)sin(α)0),r_2=δ2(+cos(β)sin(β)0)

Die virtuelle Arbeit beträgt nun

δAe=F_1δr_1+F_2δr_2

Nun ist (wegen 1+2=R=const)

δ1+δ2=0

so daß schließlich aus

δAe=0=(G1sinαG2sinβ)δ1

wegen der Willkürlichkeit von δ1

G1sinα=G2sinβ

folgt.

Klappbrücke

Inhalt aus dem Lehrbuch nicht berücksichtigt.

Zugbrücke

Inhalt aus dem Lehrbuch nicht berücksichtigt.

Das Torricellische Prinzip

Inhalt aus dem Lehrbuch nicht berücksichtigt.

Die Arten des Gleichgewichtes
- stabiles und labiles Gleichgewicht -

Arten des Gleichgewichts.

Jeder weiß aus der Erfahrung, dass es verschiedene Arten des Gleichgewichtes gibt, und verbindet mit den Worten "stabiles, labiles und indifferentes Gleichgewicht" eine bestimmte, meistens dem Kraftfeld der Schwere entnommene Vorstellung. So weiß jeder, daß ein Stab sich im stabilen, labilen oder indifferenten Gleichgewicht befindet, je nachdem, ob er oberhalb, unterhalb oder in seinem Schwerpunkt aufgehängt, bzw. unterstützt wird.

Arten des Gleichgewichts.

Ein anderes sehr instruktives Beispiel ist eine kleine Kugel, die auf einer Kurve y=y(x) rollen kann. Bedeutet m die Masse der Kugel, so ist die auf sie wirkende Schwerkraft

G_T=(0;mg;0)

sie kann nach Einführung der potentiellen Energie - auch Potential genannt -

U=mgy+U0;U0=const

auch in der Form

G_T=grad(U)=(Ux;Uy;Uz)

geschrieben werden. Nun können die oben dargestellten Gleichgewichtslagen dadurch charakterisiert werden, daß zum stabilen, labilen bzw. indifferenten Gleichgewicht ein Minimum (U(x1)>0), Maximum (U(x2)<0) bzw. "stationarer Wert" (U(x3)=0) der potentiellen Energie U=mgy+U0=mgy(x)+U0=U(x) gehört.

Wir ersehen weiter aus obiger Abbildung, daß in der stabilen Gleichgewichtslage (U=Minimum) die Kugel bei einer kleinen Störung (d.h. Entfernung aus dieser Lage) um den im Vergleich zu dem benachbarten tiefsten Punkt (kleine) Schwingungen ausführt. In Verallgemeinerung dieser Sachlage nennt man nach Klein, Felix (1849-1925) eine Gleichgewichtslage stabil, wenn für hinreichend klein gewählte Anfangsstörungen auch die Lageänderungen klein bleiben. Die allgemeine Gültigkeit des an einem Spezialfall gewonnenen Zusammenhanges zwischen potentieller Energie U=U(x,y,z) und Gleichgewichtsart läßt sich wie folgt plausibel machen: Besitzen die (eingeprägten) Kräfte ein Potential, so gilt

K_j=gradj(U),U=j=1nUj,

so daß also

δAe=K_jδr_j=grad(Uj)δr_j=δUj=δU

ist. Dann gilt für dämpfungsfreie Systeme der Energiesatz

E+U=const, d.h. δ(E+U)=0 (E ... kinetische Energie),

woraus mit dem Prinzip der virtuellen Vernickungen

δE=δU=δAe=0

folgt. Nun bedeutet dies, daß sowohl E wie U einen Extremwert besitzen: Entweder E = Maximum, U= Minimum oder umgekehrt. Passiert das System die durch δAe=0 allgemein, durch E = Maximum, U= Minimum im besonderen charakterisierte Gleichgewichtslage, so hat E (als Maximum) die Tendenz zum Abnehmen, d. h. das System die Tendenz zur Rückkehr in diese Lage, und das ist die Stabilität. Ist dagegen E = Minimum, U = Maximum, so hat E (als Minimum) die Tendenz zum Anwachsen, also das System die Neigung, sich mit wachsender Geschwindigkeit aus dieser Lage weiter zu entfernen: Instabilität.

In der Sprache der Differentialrechnung lassen sich die Gleichgewichtslagen, soweit eine Taylor-Entwicklung bis auf Glieder zweiter Ordnung zu diesem Zweck ausreicht", wie folgt festlegen:

δU=δAe=0,
δ2U=δ2Ae{>0 ... stabile Lage,=0 ... indifferente Lage,<0 ... instabile Lage.

Die Bedeutung des Differentials δ2U (auch "zweite Variation" genannt) geht aus der Taylorschen Formel hervor:

δU(x+Δx,y+Δy,z+Δz)=U(x,y,z)+δU+12!δ2U+=U+Uxδx+Uyδy+Uzδz+12!(2Ux2δx2+22Uxyδxδy++2Uz2δz2)+.

Wegen δU=0 (notwendige Bedingung des Extremums) folgt hieraus z.B. für U= Minimum (Stabilität)

U(x+Δx,y+Δy,z+Δz)U(x,y,z)=12!δ2U+>0.

Weiter ist hieraus ersichtlich, daß es von dem Vorzeichen der zweiten Variation δ2U abhängt, ob durch eine kleine - durch δx,δy,δz gemessene - Lageänderung in zweiter Näherung Energie benötigt (Stabilität) oder frei wird (Instabilität).

Lagestabilität eines Körpers.

Beispiel: Homogene Halbkugel vom Radius a mit aufgesetztem Kreiskegel aus gleichem Material.

Wie groß ist h zu wählen, damit die skizzierte Gleichgewichtslage indifferent ist?

Da die Schwerpunkthöhen der Halbkugel bzw. des Kreiskegels 58a bzw. 14h sind, liegt der Gesamtschwerpunkt um

v=ayges=a58a23πa3+13πa2h(a+h4)23πa3+13πa2h=3a2h28a+4h

unterhalb des Kugelmittelpunktes, so daß bei einer Drehung um den Winkel φ gegenüber der y-Achse der Gesamtschwerpunkt die Ordinate

yS=avcos(φ)

hat. Die Gleichgewichtsbedingung (G = Gesamtgewicht)

δAe=GδyS=GySφδφ=0

liefert - da δφ beliebig ist - die Beziehung

ySφ=vsin(φ)=0

die für die skizzierte Lage φ=0 erfüllt ist. Die Bedingung des indifferenten Gleichgewichtes gemäß obiger Gleichung verlangt

δ2Ae=G2ySφ2δφ2=0

also

2ySφ2=vcos(φ)=0

woraus für φ=0 schließlich v=0, also h=a3 folgt.

Standsicherheitsmoment.

Eine Bemerkung: Als Maß für den Grad der Stabilität dient das sog. Standsicherheitemoment; das ist diejenige Arbeit, die aufgebracht werden muß, um einen starren Körper aus dem stabilen Gleichgewicht in diejenige Lage zu bringen, aus der er von selbst nicht mehr in die stabile Gleichgewichtslage zurückkehrt. Für das gezeichnete Parallelepiped vom Gewicht G wäre das Standsicherheitsmoment

MSt=GSB=G(a2+h2h)=Gh(1+(ah)21).

Ist ah (z. B. bei einer Mauer), so liefert die binomische Reihe mit G=2a2hγ (γ = spez. Gewicht, = Mauerlänge) die Näherungsformel

MSt2a3γ,

also einen von der Mauerhöhe 2h unabhängigen Wert!

Anwendungen des Prinzips der virtuellen Arbeiten auf die Elastizitiitstheorie
- Energiemethoden der Elastizitätslehre -

Zu ganz neuen Methoden und Erkenntnissen führt das Prinzip der virtuellen Arbeiten in der Elastizitätstheorie; wir beginnen mit einem einfachen Fall.

Das elastische Fachwerk

Knoten eines allgemeinen Fachwerks.

Bezeichnen wir die in den Knotenpunkten angreifenden Lasten mit

K_=(Xj;Yj;Zj)

die zugehörigen Verschiebungsvektoren mit

v_j=(uj;vj;wj),

so gehört zu diesen Kräften das Potential

Ua=j(Xjuj+Yjvj+Zjwj)

d.h., es besteht die Beziehung

K_j=gradjUa=(Uauj;Uavj;Uawj).

Hierzu tritt noch das zu den aus dem Hookeschen Gesetz folgenden Stabkräften

Sij=EijAijijΔij

gemäß

Sij=UA(Δij)

gehörige Potential

Ue=12ijEijAijij(Δij)2,

wobei Eij den Elastizitätsmodul, Aij den Stabquerschnitt, ij die Stablänge und Δij die Längenänderung des Stabes (i,j) bedeuten.

Das Fachwerk ist nach dem Prinzip der virtuellen Arbeiten in stabilem Gleichgewicht, wenn das Gesamtpotential

U=Ua+Ue=j(Xjuj+Yjvj+Zjwj)+ijEijAijij(Δij)2,

ein Minimum ist, also δU=0 und δ2U>0 erfüllt sind, wobei die zwischen δij uj,vj,wj bestehenden Zusammenhänge beachtet werden müssen.

Beispiel

Stäbe im Fachwerk.

In dem aus 5 symmetrisch angeordneten Stäben bestehenden Fachwerk sollen die Stabquerschnitte bei gleichem Elastizititsmodul und gegebenen A0 und Q so gewählt werden, daß in allen Stäben die gleichen Zugkräfte auftreten.

Stabkraft Sjim Fachwerk.

Wie groß ist die lotrechte Verschiebung s des Kraftangriffspunktes?

Das Gesamtpotential gemäß obiger Gleichung ist

U=Ua+Ue=Qs+E2j=04Ajj(Δj)2.

Die notwendige Gleichgewichtsbedingung δU=0 liefert

δU=Qδs+Ej=04AjjΔjδ(Δj)

Nun gilt, wenn wir von einer Änderung des Winkels αj absehen

Δj=scos(αj)

und somit

δ(Δj)=δscos(αj).

Damit geht aus δU=0

(Q+Ej=04Ajjscos2(αj))δs=0

also mit j=hcos(αj)


s=QhEj=04Ajcos(αj)3

hervor. Für die Stabkräfte gilt nach dem Hookeschen Gesetz

Sj=EAjjΔj=EAjhscos2(α)=QAjcos2(αj)j=04Ajcos3(αj).

Die Forderung Sj=const ist erfüllt, wenn

A01=A1cos2α1=A2cos2α2

ist, also Aj=A0cos2αj gilt. Damit erhält man

s=QhEA0j=04cosαj=QhEA0(1+2cosα1+2cosα2)

und

Sj=Qj=04cosαj=Q(1+2cosα1+2cosα2)

Das Prinzip der virtuellen Verrückungen für linear elastische Systeme

Bei der allgemeinen Anwendung des Prinzips der virtuellen Arbeiten auf Probleme der Elastizitatstheorie spielt die Formanderungsarbeit W, wie in den Formeln von §1.2 dargelegt, eine zentrale Rolle. Hierfür beschreiben wir, wie in der "Einführung" dargelegt, den Deformationszustand eines (linear) elastischen Körpers durch die Dehnungen

Schnittlasten an einem kleinen Volumenelement.
εxx=ux,εyy=vy,εzz=wz

sowie durch Winkeländerungen (Gleitungen)

γxy=uy+vx,γxz=uz+wx,γyz=vz+wy

der einzelnen Elemente.

🖌 Zur Nomenklatur:
Szabó verwendet in seinem Buch die Winkeländerungen γij. Im Rest der Unterlagen wird
γij=2εij

verwendet. Außerdem ist

τij=σij.

Gemäß den obigen Gleichungen gehören zu einer virtuellen Verschiebung

δr_=(δu(x,y,z),δv(x,y,z);δw(x,y,z))T

die virtuellen Dehnungen

δεxx=δux,δεyy=δvy,δεzz=δwz

sowie die virtuellen Winkeländerungen (virtuellen Gleitungen)

δγxy=δuy+δvx,δγxz=δuz+δwx,δγyz=δvz+δwy.

Entsprechend diesen virtuellen Verzerrungen liefern die (inneren) Spannungen einen Anteil δW zur gesamten virtuellen Arbeit des elastischen Systems.

Schnittlasten an einem kleinen Volumenelement.

Zur Ermittlung des mit Rücksicht auf den "Energiesatz" zu den virtuellen Verrückungen wichtigen Anteils δW betrachten wir ein Volumenelement dV=dxdydz, an dem außer den Normal- und Schubspannungen die je Volumeneinheit verstandene (eingeprägte) Kraft

R_=(X,Y,Z)T

angreifen möge. Bricht man die Taylorsche Entwicklung der Spannungen mit kleinen Größen erster Ordnung ab, so erhält man für die virtuelle Arbeit sämtlicher äußerer, eingeprägter Kräfte am Element bei einer virtuellen Verschiebung δr_=(δu,δv,δw) den Beitrag

δ(dAe)=δ(dA)=d(δA)=(σxx+σxxxdx)dydz[δu+x(δu)dx]σxxdydzδu+(σyy+σyyydy)dxdz[δv+y(δv)dy]σyydxdzδv+(σzz+σzzzdz)dxdy[δw+z(δw)dz]σzzdxdyδw+(τxy+τxyxdx)dydz[δv+x(δv)dx]τxydydzδv+(τyz+τyzydy)dxdz[δw+y(δw)dy]τyzdxdzδw+(τzx+τzxzdz)dxdy[δu+z(δu)dz]τzxdxdyδu+(τxz+τxzxdx)dydz[δw+x(δw)dx]τxzdydzδw+(τyx+τyxydy)dxdz[δu+y(δu)dy]τyxdxdzδu+(τzy+τzyzdz)dxdy[δv+z(δv)dz]τzydxdyδv+Xdxdydzδu+Ydxdydzδv+Zdxdydzδw

Nach Streichung von kleinen Größen fünfter Ordnung vereinfacht sich diese Gleichung zu

d(δA)=[σxxx(δu)+σxxxδu+σyyy(δv)+σyyyδv+σzzz(δw)+σzzzδw+τxyx(δv)+τxyxδv+τyxy(δu)+τyxyδu+τxzx(δw)+τxzxδw+τzxz(δu)+τzxzδu+τyzy(δw)+τyzyδw+τzyz(δv)+τzyzδv+Xδu+Yδv+Zδw]dxdydz

Wird nun z.B. das Element einer rein translatorischen verzerrungsfreien (virtuellen) Verrückung unterworfen ( d(δAie)=0 - dies entspricht also einer Verschiebung eines starren Elements), so daß alle einer Winkeländerung des Elementes entsprechenden Größen (δv)x,(δw)y,(δu)y,(δw)x,(δv)z,(δu)z wie auch (δu)x,(δv)y,(δw)z, verschwinden, so liefert die Gleichgewichtsbedingung mit d(δAie)=0 am Element und dV=dxdydz

d(δAie)=0=[(σxxx+τyxy+τzxz+X)δu=+(σyyy+τxyx+τzyz+Y)δv=+(σzzz+τxzx+τyzy+Z)δv

Diese Beziehung kann für beliebige δu,δv,δw nur dann erfüllt sein, wenn die Gleichungen

σxxx+τyxy+τzxz+X=0σyyy+τxyx+τzyz+Y=0σzzz+τxzx+τyzy+Z=0

bestehen. Das sind die Gleichgewichtsbedingungen am Körperelement, wie wir sie schon in einem Spezialfall kennengelernt haben. Sie können freilich auch aus den Gleichgewichtsbedingungen der Kräfte in den drei Achsenrichtungen hergeleitet werden. Zu einer der Gleichgewichtsbedingung der Momente entsprechenden Aussage kommt man, indem man das Element einer reinen virtuellen Verdrehung unterwirft; das uns bekannte Resultat ist der Satz von den zugeordneten Schubspannungen:

τxy=τyx,τxz=τzx,τyz=τzy

Mit den obigen Gleichungen erhalten wir schließlich

d(δA)=(σxxδεxx+σyyδεyy+σzzδεzz+τxyδγxy+τyzδγyz+τxzδγxz)dV

und nach Integration tiber das gesamte Volumen

δA=Vd(δA)dV=V(σxxδεxx+σyyδεyy+σzzδεzz+τxyδγxy+τyzδγyz+τxzδγxz)dV=VδWSdV=δW

Durch diese Gleichung wird die mit den virtuellen Verrückungen verbundene Arbeit der eingeprägten Kräfte ausgedrückt durch die Änderung der von den Spannungen längs der entsprechenden Elementenverzerrungen geleisteten inneren Arbeit, die wir bereits oben als die Formanderungsarbeit W bezeichnet haben. Die gilt allgemein für elastische Systeme, und zwar für beliebige Elastizitätsgesetze (d.h. Zusammenhänge zwischen Spannungen und Verzerrungen), und sie läßt sich in der Form

δ(WA)=δV(WA)

als ein sog. "Variationsprinzip" schreiben. Der Index V bei dem Variationszeichen soll andeuten, daß bei diesem Prinzip die (stetig differenzierbaren) und mit den Randbedingungen verträglichen Verschiebungen (bzw. die in §10.3 näher erläuterten kompatiblen Verzerrungen) variiert werden; in diesem Sinne wollen wir vom Prinzip der virtuellen Verschiebungen sprechen. Das Prinzip beinhaltet auch, daß der in technisch wichtigen Fällen der Gleichgewichtslage eintretende Verzerrungszustand derjenige ist, bei dem die Differenz WA ein Extremum (Minimum) wird. Auf eine entsprechende praktische Anwendung des Prinzips kommen wir in Ziffer 7 (Ritzsches Verfahren) zurück.

Elastische Systeme aus Hookeschem Material

Hier hat man mit Elastizitätsmodul E, Schubmodul G und Querkontaktion ν:

εxx=1E[σxxν(σyy+σzz)]εyy=1E[σyyν(σxx+σzz)]εzz=1E[σzzν(σxx+σyy)]γxy=τxyG=2(1+ν)Eτxyγxz=τxzG=2(1+ν)Eτxzγyz=τyzG=2(1+ν)Eτyz

Die Auflösung dieser Relation nach den Spannngen ergibt mit der Volumendilation ε=εxx+εyy+εzz

σxx=E1+ν[εxx+ν12νε]σyy=E1+ν[εyy+ν12νε]σzz=E1+ν[εzz+ν12νε]τxy=Gγxy=E2(1+ν)γxyτyz=Gγyz=E2(1+ν)γyzτxz=Gγxz=E2(1+ν)γxz

Definiert man, wie oben angedeutet, die (volumen-)spezifische Formänderurtgsenergie (-arbeit) W durch

W=VWSdV bzw. W=WSdV

so bringt ein Einsetzen der Hookschen Gesetzes

δWS=E1+ν[(εxx+ν12νε)δεxx+(εyy+ν12νε)δεyy+(εzz+ν12νε)δεzz+12(γxyδγxy+γxzδγxz+γyzδγyz)]

Hiermit ist die folgende Form der spezifischen Formanderungsarbeit WS verträglich

WS=E2(1+ν)[(εxx2+εyy2+εzz2)+ν12ν(εxx+εyy+εzz)2+12(γxy2+γyz2+γxz2)]

Denn deutet man das Variationszeichen δ als Differential, so kommt man über

δWS=WSεxxδεxx+

wiederum auf obige Gleichung und damit auch durch Vergleich der letzten Zeile und zu

WSεxx=E1+ν[εxx+ν12νε]=σxx,WSγxy=E2(1+ν)γxy=σxy usw.

An den letzten beiden Gleichungen ist noch bemerkenswert, daß W (wegen seiner homogen quadratischen Form) nur positive Werte annehmen kann. Man sagt, W ist positiv definit. Unter Beachtung von obigen Gleichungen lassen sich auch noch folgende Formen für W erreichen:

WS=12E[(1+ν)(σxx2+σyy2+σzz2)ν(σxx+σyy+σzz)2+2(1+ν)(σxy2+σyz2+σxz2)]=12(σxxεxx+σyyεyy+σzzεzz+σxyεxy+σxzεxz+σyzεyz)

die man anschaulich deuten kann als die Arbeit der Spannungen längs der von ihnen linear abhängigen Dehnungen bzw. Gleitungen.

Arbeit der Spannungen längs der von ihnen linear abhängigen Dehnungen

Dieses charakteristische Bild wird uns überall dort begegnen, wo "langsam anwachsende Lasten" von ihnen linear abhängige Deformationen hervorrufen! Die oben zum Ausdruck gebrachte Superponierbarkeit der einzelnen Arbeitsbeiträge wird auch der Satz von CLAPEYRON (1799- 1864) genannt. Es sei noch einmal betont, daß der Satz von CLAPEYRON bzw. die obigen Gleichungen nach denen die spezifische Formänderungsarbeit eine homogen-quadratische Funktion der Spannungen bzw. der Spannungen und Deformationen ist - nur für lineare (Hookesche) Elastizitätsgesetze gelten.

Schließlich sei noch bemerkt, daß nach diesen Gleichungen die partiellen Ableitungen der spezifischen Formänderungsarbeit nach den Spannungen die entsprechenden Deformationsgrößen liefern:

WSσxx=1E[σxx+ν(σyy+σzz)]=εxx,WSσxy=σxyG=γxy usw.

Eine Variation am Spannungszustand vermöge dieser Gleichung ist i. allg. keine Variation direkt an den Verzerrungen, wie sie das Prinzip der virtuellen Verrückungen fordert. Man beachte in diesem Zusammenhang die folgende Ziffer 4. In den Fällen des eindimensionalen Spannungszustandes (gerader Stab/Balken in Ziffer 5) sind Spannungs- und Verzerrungszustand direkt zueinander affin, so daß es gleichgültig ist, ob für die Formulierung der Formanderungsenergie bzw. ihre Variation das Verschiebungsfeld oder das der Schnittlasten (Spannungen) benutzt wird.

Das Prinzip der virtuellen Kräfte

- nicht inkludiert -

Die Formänderungsarbeit für spezielle Belastungen eines geraden Stabes

- nicht inkludiert -

Die Sätze von CASTIGLIANO

- nicht inkludiert -

Das Prinzip von D'ALEMBERT

Einleitende Bemerkungen. Das Problem des Schwingungsmittelpunktes und seine Lösung durch HUYGENS

Es ist schon einleitend zu diesem Kapitel darauf hingewiesen worden, daß die Newtonsche Dynamik, entsprechend den Bedürfnissen der Himmelsmechanik, aus dem Studium der Bewegung "freier Massenpunkte" hervorgegangen ist und es aus diesem Grunde mit ihrer Hilfe nicht moglich ist, die Bewegung gebundener Körpersysteme in voller Allgemeinheit zu behandeln. Dabei ist es interessant, daß solche Fragen der sog. "Verbunddynamik" schon vor dem Erscheinen der "Principia" (1687) zur Diskussion standen.

Pendel aus mehreren Einzelmassen.

Das berühmteste Problem dieser Art ist von Mersenne (1588-1648) im Jahre 1646 gestellt worden: Die Schwingungsdauer eines aus mehreren Einzelmassen bestehenden Pendels zu ermitteln.

Mathematisches Pendel.

Da man den Zusammenhang zwischen Pendelänge und Schwingungsdauer des sog. mathematischen Pendels für kleine Ausschläge schon seit Galilei (1564-1642) kannte, lief die Lösung auf die Ermittlung der sog. reduzierten Pendellänge oder des Schwingungsmittelpunktes hinaus. Huygens (1629 bis 1695), selbst ein Schüler von Mersenne, löste das Problem durch Überlegungen, die wir heute zusammenfassend mit dem Namen Energiesatz im Schwerefeld charakterisieren. Dieser liefert, wenn wir das Pendel in der durch den Winkel φ bestimmten Lage ohne Anfangsgeschwindigkeit loslassen, in der Tiefstlage für die Geschwindigkeit v bzw. Winkelgeschwindigkeit ω.

mg(1cos(φ))=12mv2=12m2ω2

bzw. für das zusammengesetzte Pendel

k=1nmkgrk(1cos(φ))=12K=1nmkrk2ω2.

Durch Division der beiden Gleichungen ergibt sich für die reduzierte Pendellänge die schon bekannte Beziehung

=k=1nmkrk2k=1nmkrk.

Im Jahre 1686 gab auch Jakob Bernoulli (1654-1704) eine Lösung dieses Problems. Seine Überlegungen wollen wir anschließend kennenlernen, da sie schon den Kern des D'Alembertschen Prinzips enthalten.

JAKOB BERNOULLIS Problem

... ist das eines aus zwei Einzelmassen m1 und m2 und aus einer gewichtslosen Stange bestehenden Pendels. Die Abstände dieser Massen vom Aufhängepunkt seien mit r1 und r2 bezeichnet.

Vorderradgabel mit Scheibenbremse.

Die Bewegung beginnt aus der horizontalen Lage ohne Anfangsgeschwindigkeit; b1 und b2 seien die Beschleunigungen von m1 und m2. Nun überlegt Bernoulli folgendermaßen: Es leuchtet sofort ein, daß m2 eine größere Geschwindigkeit bzw, Beschleunigung erfährt als m1. Unter der Annahme der Gleichheit der Massen ist dann zwar beiden dieselbe Kraft K1=K2=m1g=m2g "eingeprägt", aber wegen der starren Stabverbindung kann die an m1 angreifende (eingeprägte) Kraft K1=m1g nicht zur vollen Beschleunigungswirkung kommen, vielmehr geht der Anteil K1m1b1=m1(gb1) "verloren", während m2 an beschleunigender Kraft m2(gb2) "gewinnt". Man nennt

B1=K1m1b1 und B2=K2m2b2

"verlorene Kräfte". Nun kommt Bernoulli zu folgender genialer Schlussfolgerung: Da die verlorenen Krafte m1(gb1) bzw. m2(gb2) ihre Wechselwirkung durch den Verbindungsstab als einarmigen Hebel ohne die Bewegung zu beeinflussen ausüben, müssen sie das Hebelgesetz erfüllen:

m1(gb1)r1+m2(gb2)r2=0

Bedeutet die gesuchte reduzierte Pendellänge, so ist offenbar

b1=gr1 und b2=gr2

denn nur der Schwingungsmittelpunkt erfährt in der waagerechten Ausgangslage die volle Erdbeschleunigung. Mit obiger Gleichung erhält man aus der Gleichung für das Hebelgesetz schießlich

=m1r12+m2r22m1r1+m2r2.

woraus durch Verallgemeinerung wieder die oben genannte Gleichung hervorgeht. In diesen eben geschilderten- "statischen"- Gedanken vom Gleichgewicht der verlorenen Kräfte des Jakob Bernoulli liegt der Kern des Prinzips von D'Alembert, dem wir uns jetzt zuwenden wollen.

Das Prinzip vonD'ALEMBERT

... führt die Probleme der Dynamik (Kinetik) formal auf solche der Statik zurück; es benötigt also einen prinzipienmäßigen Aufbau der Statik. Dieser ist schon vorangehend geleistet worden, so daß einer Formulierung dieses Prinzips nichts im Wege steht.

Das Prinzip von D'Alembert ist eine Verallgemeinerung des Jakob Bernoullischen Gedankens, dessen Kern es ist, daß bei der beschleunigten Bewegung eines Körpersystems infolge der Verbindungen der Massen untereinander die den Massen eingeprägten Kräfte nicht zur vollen Beschleunigungswirkung kommen.

Vorderradgabel mit Scheibenbremse.

Ist b die wirkliche Beschleunigung des Massenelementes dm, so zerlege man die eingeprägte Kraft dKe nach dem Parallelogrammgesetz in die Komponenten dK=dmb und dB=dKedmb. Nun sagt das Prinzip von D'Alembert aus:

Bei der Bewegung halten sich am mechanischen System die verlorenen Kräfte

dB=dKedmb

das Gleichgewicht. Die verlorenen Käfte kommen also zu rein statischer Verspannung. Benutzt man für die verlorenen Kräfte, die uns in Wirklichkeit nicht interessieren, die rechte Seite von obiger Gleichung, so können wir auch kurz sagen:

Bei der Bewegung halten sich die eingepägten Kräfte und die negativen Massenbeschleunigungen am System das Gleichgewicht.

Dementsprechend hat man folgendes "Rezept" zur Lösung von dynamischen Problemen: Man füge zu den eingeprägten Kräften dKe die negativen Massenbeschleunigungen dmb (als Scheinkräfte) hinzu und behandle dann das System nach den statischen Gesetzen. Mit Hilfe des Prinzips der virtuellen Arbeiten erhalten wir das D'Alembertsche Prinzip in der Lagrangeschen Fassung:

VdBδrdV=0

bzw.

V(dKedmb)δrdV=0.

Hierbei hat die virtuelle Verschiebung δrmit dem Verlauf der wirklichen Bewegung nichts zu tun: Sie kann jede mit den Bindungen des Systems vereinbare Lageänderung sein! Zu den virtuellen Verschiebungen δr noch eine grundsätzliche Bemerkung: Zwischen den virtuellen Verschiebungen der einzelnen Systempunkte können gewisse Beziehungen bestehen. Oft sind sie Gleichungen zwischen den Koordinaten des Systems; man nennt ein solches System ein holonomes ("ganz gesetzliches") System. Im Gegensatz hierzu wird ein System nicht- holonom genannt, wenn Bedingungsgleichungen nur in differentieller Form bestehen.

Führung eines Messers über eine Ebene.

Als Beispiel fur ein nicht-holonomes System kann ein mit seiner Schneide über eine Ebene (Tisch) geführtes Messer angeführt werden, wenn "Kratzen" verboten ist, d.h., wenn die Schneide des Messers immer die Richtung der Tangente der Bahnkurve hat.

Es muß dann die differentielle Beziehung δy=δxtan(α) zwischen den Koordinaten x, y des Berührungspunktes des Messers mit der Ebene und dem Winkel α der Schneidenrichtung mit der x-Achse bestehen. Diese Beziehung kann aus keiner endlichen Gleichung zwischen den Koordinaten x,y,α des Systems abgeleitet werden, da x,y und α offenbar beliebige Werte annehmen können, d. h. unabhängig voneinander sind.

Auch ein auf einer Ebene abrollendes und schief gestelltes Rad ist ein nicht-holonomes System. Es sei bemerkt, daß in der Kontinuumsmechanik die Untersuchung nicht-holonomer Systeme entfällt.

In obiger Gleichung des d'Alembertschen Prinzips erscheinen die Reaktionskräfte nicht, wohl müssen aber bei einem elastischen System die Arbeit verrichtenden inneren elastischen Kräfte und gegebenenfalls innere Gleitreibungen berücksichtigt werden! Für starre Systeme, für die das Prinzip vorwiegend zur Anwendung gelangt, fallen diese Kräfte freilich fort.

Mit

dKe=(dX;dY;dZ),b=(x¨;y¨;z¨),δr=(δx;δy;δz)

erscheint das d'Alembertsche Primzip in der Form

[(dXdmx¨)δx+(dYdmy¨)δy+(dZdmz¨)δz]=0

woraus für ein "freies System" wegen der Willkürlichkeit von δx,δy,δz die Newtonschen Bewegungsgleichungen

dmx¨=dX,dmy¨=dY,dmz¨=dZ

folgen. In diesem Falle leistet das D'Alembertsche Prinzip nichts Neues: der Fortschritt dieses Prinzips liegt in seiner Anwendung auf gebundene Svsteme.

Wir wollen nun noch Schwerpunkt- und Momentensatz für freie, starre Körper aus dem D'Alembertschen Prinzip herleiten. Mit Rücksicht darauf, daß hier eine Unterscheidung zwischen eingeprägten Kräften dKe und äußeren Kräften dKa entfällt, liefert das D'Alembertsche Prinzip im Sinne der Gleichgewichtsbedingungen am freien starren Körper

dB=(dKadmb)=0, Vr×dB=V(r×(dKadmb))=0,

woraus mit b=r¨=v˙ und wegen der Unveränderlichkeit der Masse

dKa=Ka=dmr¨a=d2dt2(mrS)=mr¨S=mbS

bzw.

r×dKa=Ma=r×dmr¨a=ddt(dmr×v)=dDdt

also Schwerpunkt- und Momentensatz (Drallsatz), letzterer ohne Heranziehung des Boltzmannschen Axioms, hervorgehen.

Selbstverständlich kann das D'Alembertsche Prinzip auch zur Ermittlung von inneren Kräften (z.B. Seilkräften) dienen, indem man diese durch Führung eines geeigneten Schnittes freilegt, d.h. sie zu äußeren Kräften macht. In solchen Fällen verwendet man anstatt oder neben der urspünglichen Fassung des D'Alembertschen Prinzips auch die Gleichgewichtsbedingungen der (verlorenen) Kräfte und Momente, wobei bei den letzteren die Momente der (eingeprägten) Kräfte im Sinne der obigen Gleichungen durch die Produkte Θω˙ der sich drehenden Massen zu ergänzen sind.

Der Sinn des D'Alembertschen Prinzips ist, insbesondere nach den einleitend geschilderten Gedankengangen von JAKOB BERNOULLI, klar; trotzdem trifft man in der Literatur noch immer auf die Behauptung, daß das D'Alembertsche Prinzip weiter nichts sei als eine "Umstellung" des Newtonschen Gesetzes K=mb in Kmb=0!

Zur falschen Interpretation des d'Almebertschen Prinzips: System mit Seilkräften freigeschnitten.

Oft wird auch das Prinzip zu weit gefaßt, wenn behauptet wird, daß jede statische Gleichung auch für die Bewegung durch Hinzunahme der negativen Massenbeschleunigungen richtig wird. Daß diese Ansicht falsch ist, zeigt die Betrachtung des in dargestellten Systems: Die statische Gleichgewichtsbedingung - ohne Berücksichtigung des Seilgewichtes -

S2S1=m2gsinβm1gsinα

ist offenbar auch für eine massenbehaftete Rolle richtig, aber sie nach Hinzufügen der negativen Massenbeschleunigungen, also in der Form

(m2gsinβm2b)(m1gsinα+m1b)=0,b=s¨

zu verwenden, wäre falsch! Wir kommen auf dieses Beispiel in der nächsten Ziffer zurück.

Beispiele

- nicht inkludiert -